Das war die DDR

Verordnung über die Anmeldung und die Beschlagnahme des Vermögens der Personen, die sich aktiv faschistisch betätigt haben vom 2. Juli 1945

VOBl. Stadt Berlin Nr. 4/1945 S. 45

Es folgt das Faksimile (originalgetreue Kopie) eines historischen Dokuments, das diese Webseite aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann tendenziös, überholt oder politisch extrem sein.

Auf Grund des dem Magistrat der Stadt Berlin durch den Obersten Chef der Sowjetischen Militärischen Administration, vertreten durch den Stadtkommandanten der Stadt Berlin, erteilten Auftrags auf Selbstverwaltung der Stadt Berlin erlassen wir mit Zustimmung des Stadtkommandanten folgende Verordnung:

§ 1
Grundsatz

Das Vermögen der Personen, die sich aktiv faschistisch betätigt haben, und das ihrer Ehegatten unterliegt nach näherer Bestimmung der folgenden Vorschriften

a) der Anmeldepflicht,

b) der Beschlagnahme.

§ 2
Kreis der betroffenen Personen

Als führende oder aktivistische Nationalsozialisten (im folgenden abgekürzt "Naziführer" genannt) gelten:

1. alle Personen, die zu irgendeinem Zeitpunkt Mitglieder der NSDAP, der SA, des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps, des NS-Fliegerkorps, der Hitlerjugend vom Unterbannführer aufwärts, des NS-Studentenbundes, der hauptamtlichen Führung der Deutschen Arbeitsfront in einer Stellung vom Zellenleiter oder Untersturmführer oder einem entsprechenden Rang an aufwärts gewesen sind, und sämtliche Blutordensträger und Träger des goldenen Parteiabzeichens;

2. alle Personen, die zu irgendeinem Zeitpunkt Angehörige der SS, des SD oder der Gestapo gewesen sind. Hierunter fallen nicht diejenigen, die als Wehrpflichtige ohne eigene Mitwirkung zur Waffen-SS gezogen worden sind und sich nicht aktiv faschistisch betätigt haben;

3. alle Personen, die als Verfechter des Nationalsozialismus aktiv hervorgetreten sind und die sich gegen andere brutal oder gemein verhalten haben;

4. alle Personen, die durch Ausnutzung der ihnen vom Naziregime gegebenen Stellung in Partei, Staat, Wehrmacht oder Wirtschaft Vorteile für sich oder ihre Angehörigen gezogen haben, die nach gesunder Volksanschauung unangemessen sind.

§ 3
Räumlicher Anwendungsbereich

Die Anmeldepflicht und die Beschlagnahme erstrecken sich auf das Vermögen aller Nationalsozialisten (§ 2) und ihrer Ehegatten, das sich am 1. Mai 1945 im Stadtgebiet Berlin befand.

§ 4
Anmeldepflicht dritter Personen

Anmeldepflichtig sind auch:

1. Die Erben eines Naziführers (§ 2) oder seines Ehegatten hinsichtlich des Nachlasses;

2. jede Person, an die Vermögensgegenstände einer der in § 2 bezeichneten Personen nach dem 31. Dezember 1943 unentgeltlich übereignet worden sind, hinsichtlich dieser Gegenstände;

3. jede Person, die Vermögensgegenstände einer der in § 2 bezeichneten Personen in Gewahrsam hat, hinsichtlich dieser Gegenstände.

§ 5
Stichtage für die Anmeldepflicht und ihr Inhalt

(1) In der Anmeldung ist das in Berlin befindliche Vermögen nach vorgeschriebenem Muster anzumelden und zu bewerten, und zwar nach den beiden Stichtagen:

a) 1. Januar 1933,

b) 1. Mai 1945.

(2) Anmeldepflichtig ist das gesamte Vermögen, ohne Rücksicht darauf, ob es von irgendeiner Steuer befreit ist oder nicht.

(3) Ausgenommen von der Anmeldepflicht sind bewegliche Gegenstände, die ausschließlich zum persönlichen Gebrauch des Anmeldepflichtigen bestimmt sind, soweit es sich nicht um Wert- oder Luxusgegenstände handelt.

§ 6
Bewertung

Jeder Vermögensbestandteil ist in der Anmeldung mit dem gemeinen Wert anzusetzen, den er an dem nach § 5 maßgebenden Stichtag hatte.

§ 7
Frist für die Anmeldung

(1) Die Anmeldung ist bis zum 31. Juli 1945 bei der zuständigen Meldebehörde (§ 14) abzugeben. Anmeldepflichtige Personen, die sich beim Inkrafttreten dieser Verordnung außerhalb Berlins befinden, haben unbeschadet der Anmeldepflicht der gegenwärtigen Verwahrer oder Verwalter die Anmeldung innerhalb eines Monats abzugeben. Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, von dem ab ein regelmäßiger Postverkehr zwischen dem Aufenthaltsort und Berlin möglich ist.

(2) Die zuständige Meldebehörde kann eine andere Frist bestimmen, insbesondere in den Fällen des § 8.

§ 8
Bestimmung der Anmeldepflichtigen in besonderen Fällen

(1) In den Fällen des § 2 Ziffern 3 und 4 bestimmt die Meldebehörde die zur Anmeldung verpflichteten Personen durch Einzel- oder Sammelaufforderung. Zur Bekanntgabe der Aufforderung an die Verpflichteten genügt öffentliche Bekanntmachung.

(2) Auf Antrag, der binnen zwei Wochen nach der Bekanntgabe bei der Meldebehörde zu stellen ist, sind den Verpflichteten die Umstände mitzuteilen, auf die die Anwendung des § 2 Ziffer 3 oder 4 gestützt wird. Es ist ihnen Gelegenheit zur Äußerung und zur Beibringung von Beweismitteln innerhalb der Frist von zwei Wochen zu geben. Für Personen, die sich beim Inkrafttreten dieser Verordnung außerhalb Berlins aufhalten, gilt hinsichtlich des Beginns der Frist von zwei Wochen § 7 Absatz 1 Satz 3.

§ 9
Änderungsanzeige

Jeder, der nach den §§ 1,2 und 4 anmeldepflichtig ist, hat der Meldebehörde unverzüglich jede Veränderung (Erhöhung oder Verminderung) des anmeldepflichtigen Vermögens anzuzeigen, die nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung eintritt, sofern die Vermögensveränderung über den Rahmen einer angemessenen Lebensführung oder des regelmäßigen Geschäftsverkehrs hinausgeht.

§ 10
Erzwingung der Anmeldung

Die Meldebehörde kann die Abgabe der Anmeldung erzwingen. § 202 der Reichsabgabenordnung gilt sinngemäß.

§ 11
Beschlagnahme

(1) Das anmeldepflichtige Vermögen, das sich innerhalb des Gebiets der Stadt Berlin befindet, wird beschlagnahmt.

(2) Steht das anmeldepflichtige Vermögen im Eigentum einer der in § 2 Ziffer 1 oder Ziffer 2 genannten Personen oder ihrer Erben oder einer der in § 4 Ziffer 2 bezeichneten Personen, so tritt die Beschlagnahme kraft Gesetzes mit Wirkung vom 1. Mai 1945 ein. Die Beschlagnahmebehörde kann zur Feststellung des Eintritts der Beschlagnahme einen Bescheid erlassen. Die Bekanntgabe des Bescheids kann mündlich oder schriftlich oder durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen.

(3) Steht das anmeldepflichtige Vermögen im Eigentum einer der in § 2 Ziffer 3 oder Ziffer 4 bezeichneten Personen oder ihrer Erben, so tritt die Beschlagnahme mit der Bekanntgabe der in § 8 Absatz 1 vorgesehenen Aufforderung durch die Meldebehörde ein.

§ 12
Wirkung der Beschlagnahme

(1) Mit dem Eintritt der Beschlagnahme verlieren die bisher Berechtigten die Befugnis, über das beschlagnahmte Vermögen durch Rechtsgeschäft zu verfügen. Der rechtsgeschäftlichen Verfügung steht eine Verfügung gleich, die im Weg der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung erfolgt.

(2) Die Beschlagnahmebehörde (§ 14) kann auf Antrag Ausnahmen zulassen, sie kann insbesondere, etwa zur Aufrechterhaltung eines lebenswichtigen Betriebs, Verfügungen in den Grenzen ordnungsmäßiger Wirtschaft allgemein gestatten, soweit ein Ersatz durch einen entsprechenden Gegenwert gesichert ist.

(3) Ist in den Fällen des § 11 Absatz 2 in der Zeit vom 1. Mai 1945 bis zum Inkrafttreten dieser Verordnung über einen der beschlagnahmten Gegenstände verfügt worden, so bedarf diese Verfügung der Genehmigung der Beschlagnahmebehörde (§ 14).

§ 13
Verwaltung des beschlagnahmten Vermögens

(1) Wer beim Inkrafttreten dieser Verordnung oder bei Eintritt der Beschlagnahme Vermögensgegenstände, die der Beschlagnahme unterliegen, im Besitz hat, hat diese Vermögensgegenstände ordnungsmäßig aufzubewahren. Er haftet der Stadt Berlin gegenüber für den Vorsatz und Fahrlässigkeit jeder Art, in den Fällen des § 4 Ziffer 3 wie ein Verwahrer ohne Anspruch auf Entgelt, soweit nicht auf Grund eines zu dem Eigentümer bestehenden Rechtsverhältnisses eine weitergehende Haftung begründet ist.

(2) Die Stadt Berlin kann das beschlagnahmte Vermögen ganz oder zum Teil in Verwaltung und zu diesem Zweck in Besitz nehmen.

§ 14
Meldebehörde, Beschlagnahmebehörde, Verwaltungsbehörde

(1) Meldebehörden und Beschlagnahmebehörden sind die Bezirksämter der Stadt Berlin.

(2) Verwaltungsbehörde in den Fällen des § 13 Absatz 2 ist die Vermögensverwertungsstelle des Oberfinanzpräsidiums.

§ 15
Zuständigkeit der Meldebehörden und der Beschlagnahmebehörden

Als Meldebehörden und Beschlagnahmebehörden sind zuständig,

a) wenn der Naziführer (§ 2) oder sein Ehegatte seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin hat oder bis zum 1. Juli 1943 oder später gehabt hat: das Bezirksamt, in dessen Verwaltungsbezirk der Wohnsitz oder der Aufenthalt liegt oder zuletzt gelegen hat,

b) in anderen Fällen: das Bezirksamt, in dessen Verwaltungsbezirk sich anmeldepflichtiges Vermögen befindet. Der Magistrat kann für besondere Fälle die Zuständigkeit eines bestimmten Bezirksamts anordnen, auch wenn sich das Vermögen außerhalb des Verwaltungsbezirks dieses Bezirksamts befindet.

§ 16
Rechtsmittel

(1) Gegen die Beschlagnahme ist das Rechtsmittel des Einspruchs an das zuständige Bezirksamt zulässig, wenn ein Beschlagnahmebescheid ergangen ist. Der Anmeldepflichtige kann den Erlaß eines Beschlagnahmebescheids beantragen.

(2) Die Einspruchsfrist beträgt eine Woche von der Bekanntgabe des Bescheids ab.

(3) Über den Einspruch entscheidet der bei den Bezirksämtern zu bildende Spruchausschuß.

§ 17
Beistandspflicht

Alle Behörden und Selbstverwaltungsorgane innerhalb der Stadt Berlin haben den Melde- und Beschlagnahmebehörden jede zur Durchführung der Vermögensanmeldung und der Beschlagnahme dienliche Hilfe zu leisten, insbesondere Vermögensgegenstände, deren anmeldepflichtiger Eigentümer sich nicht in Berlin aufhält, und die ihnen bekannt werden, unverzüglich zu melden.

§ 18
Strafbestimmungen

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig die nach den vorstehenden Vorschriften bestehende Anmelde-, Bewertungs- oder Anzeigepflicht nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig erfüllt, wird mit Gefängnis und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft, in besonders schweren Fällen vorsätzlicher Zuwiderhandlung kann auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren erkannt werden. Der Täter ist auch strafbar, wenn er die Tat im Ausland begangen hat.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Neben der Strafe aus Absätzen 1 und 2 kann auf Einziehung des Vermögens erkannt werden, soweit es Gegenstand der strafbaren Handlung war, neben der Zuchthausstrafe ist auf Einziehung zu erkennen. Kann keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden, so kann auf Einziehung auch selbständig erkannt werden, wenn im übrigen die Voraussetzungen für die Einziehung vorliegen.

§ 19
Durchführung der Verordnung

Der Magistrat kann zur Durchführung und zur Ergänzung dieser Verordnung Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen.

§ 20
Verwertung des beschlagnahmten Vermögens

Die Bestimmung über die Verwertung des beschlagnahmten Vermögens bleibt einer besonderen Verordnung vorbehalten.

§ 21
Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am 1. Juli 1945 in Kraft.

Berlin, den 2. Juli 1945

Der Magistrat der Stadt Berlin


Dr. Werner

Verordnungsblatt der Stadt Berlin Nr. 4/1945 S. 45

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