Noch vor den umwälzenden Ereignissen im Oktober und November 1989 erging am 18. Mai 1989 eine novellierte Naturschutzverordnung zum Landeskulturgesetz unter dem Titel "Schutz und Pflege der Pflanzen- und Tierwelt und der landschaftlichen Schönheiten", die am 19. Juni 1989 in Kraft trat und einige Verbesserungen im Naturschutz-Instrumentarium brachte. Sie war Ergebnis der Bemühungen im Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz um eine neue Naturschutzstrategie.
Grundsätzlich war es bis dahin mit dem herkömmlichen Naturschutzbegriff und der daran geknüpften Ziel- und Aufgabenstellung zwar möglich, sich für die Belange des Naturschutzes in der gesamten Landschaft einzusetzen, aber die Arbeit von ILN, ehrenamtlichen und freiwillig tätigen Naturschützern und von Wissenschaftlern in kooperierenden Einrichtungen hatte sich bislang vorrangig mit den geschützten (oder zu schützenden) Objekten und Gebieten und der Forschung in Flächennaturdenkmalen (FND), Naturschutzgebieten (NSG) und Landschaftsschutzgebieten (LSG) befasst. Die Erfolge des Naturschutzes beschränkten sich überwiegend auf solche "Inseln" in der Landschaft, wobei die FND und NSG weit im Vordergrund des Interesses standen. Das System der NSG galt bereits Anfang der 1970er Jahre als abgeschlossen. Die dadurch geschützten Gebiete nahmen ca. 0,9 % der Gesamtfläche ein und entsprachen nicht den Verhältnissen der vorherrschenden industriellen Landnutzung. Der "Inselnaturschutz" stieß gerade dort an Grenzen, wo alle Zeichen auf Intensivierung in der Land- und Forstwirtschaft oder auf Forcierung des Braunkohlenabbaus standen oder wo, auf Grenzertragsstandorten, Landschaftsteile aus der landwirtschaftlichen Nutzung herausgenommen wurden. Das Problem der Gefährdung der Biodiversität, mithin des Kulturartenverlustes und die Notwendigkeit des Kulturartenschutzes war hinreichend bekannt, was sich in der Naturschutzpraxis jedoch nicht widerspiegelte.
Bereits 1976 forderten 25 Leitungsmitglieder des ZFA und der BFA Botanik im Kulturbund auf einer Tagung in Wesenberg/Mecklenburg eine veränderte Naturschutzkonzeption, die der industriellen agrarischen Landnutzung entsprechen sollte.
1987 veröffentlichten Mitarbeiter des ILN jahrelang vorbereitete Vorstellungen für eine begriffliche Neubestimmung und strategische Neuausrichtung des Naturschutzes sowie eine genauere Abgrenzung der Ziele und Aufgaben des Naturschutzes gegenüber Umweltschutz und Landschaftsgestaltung/Landschaftspflege. Ausgehend vom Ressourcenbegriff gliederten sie die Naturressourcen in nicht erschöpfbare und erschöpfbare, letztere in wiederherstellbare (Boden, Biomasse, Ökosysteme, Landschaften) und nicht wiederherstellbare und die nicht wiederherstellbaren in entwicklungspassive (fossile Brennstoffe, Erze, mineralische Rohstoffe) und entwicklungsaktive (Arten- und Formenmannigfaltigkeit der Organismen, genetische Mannigfaltigkeit der Populationen). Daraus leiteten sie strategische und taktische Neuorientierungen des Naturschutzes ab.
In die neue Naturschutzverordnung vom 18. Mai 1989 fand der Begriff "Arten- und Formenvielfalt der Organismen" Eingang. Die Novelle brachte eine erhebliche Verbesserung der rechtlichen Grundlagen des Arten- und Biotopschutzes mit sich. § 11 (2) DVO führte den Begriff der Totalreservate ein und bedeutete eine Erweiterung des Prozessschutzes. § 12 führte die gesetzliche Kategorie der Biosphärenreservate ein. § 13 die der geschützten Feuchtgebiete. § 14 ermöglichte die Ausweisung von Schongebieten für vom Aussterben bedrohte Arten. § 15 fasste die FND als eigenständige Kategorie und erweiterte die mögliche Schutzfläche von 3 auf 5 ha. Die §§ 20 und 21 nahmen den Begriff der Roten Liste auf und regelten den Schutz der Standorte geschützter Pflanzen und der Lebensräume geschützter Tiere. § 22 regelte grundsätzlich die Ausweisung geschützter weiterer Organismen (z. B. der Pilze) und § 24 führte die ökologisch bedeutsamen Bereiche ein (geschützte Biotope). Nach §§ 15 und 24 wurden dann in der "Wende", also noch im Jahr 1989, DDR-weit zahlreiche kleine Gebiete einstweilig gesichert.
Die novellierte DVO hätte nicht dazu geführt, den Mangel an hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu beheben. Allerdings wurde das Ehrenamt gestärkt. So sah § 6 die Einbeziehung der Bürger in die Naturschutzarbeit vor. Neu war auch die Möglichkeit, Beiräte für Naturschutz zu berufen (§ 7), womit die einst mit dem Naturschutzgesetz von 1954 gestrichenen Naturschutzstellen eine Wiedergeburt erlebten.
Nachdem am 9. November 1989 überraschend die deutsch-deutsche Grenze geöffnet wurde, kam mit der Zeit der "Regierung der Nationalen Verantwortung" unter Ministerpräsident Hans Modrow, die vom 18. November 1989 bis zur vorgezogenen Wahl am 18. März 1990 regierte, für den Naturschutz eine Zeit, in der "Meilensteine" gesetzt und u. a. die Grundlagen des Nationalparkprogramms der DDR erarbeitet wurden. Die Idee für das Nationalparkprogramm für die gesamte DDR, mit dem großflächig Landschaften bewahrt und entwickelt werden sollten, entwickelte sich an verschiedenen Orten, u. a. in Waren an der Müritz, wo sich eine Bürgerinitiative zur Auflösung des Staatsjagdgebietes an der Müritz gebildet hatte. Bereits am 18. Dezember 1989 lag der Volkskammer, dem Ministerpräsidenten und dem Runden Tisch der DDR ein Schreiben der Müritzer Initiative vor, das detaillierte Arbeitsschritte zur Realisierung eines Nationalparks an der Müritz sowie ein Nationalparkprogramm für besonders schützenswerte Landschaften in folgenden Regionen benennt: Südost-Rügen, Darß-Zingst-Hiddensee, Müritzgebiet, Spreewald, Mittelelbegebiet, Elbsandsteingebirge, Eichsfeld, Rhön. Damit waren bereits acht der 14 später im Einigungsvertrag gesicherten Flächen benannt.
Am 1. Januar 1990 wurde das Ministerium für Naturschutz, Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR (MNUW) gegründet und am 15. Januar 1990 Michael Succow als Stellvertreter des Ministers, zuständig für Ressourcenschutz und Landnutzungsplanung, berufen. Succow holte bis zum März 1990 neben Rolf Caspar, dem früheren Sekretär des Zentralvorstandes der GNU in Berlin, Hans Dieter Knapp[40] (freiberuflicher Botaniker) und Matthias Freude von der Humboldt-Universität zu Berlin mit Lutz Reichhoff (ILN Dessau und stellvertretender Direktor des ILN) sowie Wolfgang Böhnert/ILN Dresden und Lebrecht Jeschke/ILN Greifswald einige führende ILN-Mitarbeiter in den Bereich Naturschutz des neuen Ministeriums.
Am 27. und 28. Januar 1990 trafen sich in Berlin Naturschützer beider deutscher Staaten zu einer großen Naturschutzkonferenz. Die nach dem Mauerbau 1961 mehr oder weniger abgebrochenen Kontakte waren bereits in den Wochen zuvor intensiv wiedergeknüpft worden. Korrespondierend mit dem Niedergang der Gesellschaft für Natur und Umwelt im Kulturbund, der in den Monaten November bis März 1990 stattfand, gründeten sich in der DDR einerseits die "Grüne Liga", ein Netzwerk unabhängiger lokaler Umweltgruppen und der "Naturschutzbund der DDR" (am 18. März 1990), eine Abspaltung von der GNU, als neue Verbände, andererseits gab es immer mehr Ableger von Umweltverbänden der Bundesrepublik wie BUND, WWF und Greenpeace.
Am 7. Dezember 1989 fand sich erstmals der "Zentrale Runde Tisch" der DDR zusammen. Bis zur letzten Sitzung am 12. März 1990 gab es 16 Treffen des "Zentralen Runden Tischs". Die "Runden Tische", die es auch auf lokaler Ebene gab, waren "zu neuen Repräsentations- und Legitimationsformen" geworden, die das Machtvakuum, das durch den Zerfall der Herrschaft der SED und ihrer Blockparteien entstand, zu füllen versuchten. Zum Zentralen Runden Tisch gehörte auch eine Arbeitsgruppe "Ökologischer Umbau", die mit Datum vom 5. März 1990 als Ergebnis ihrer Tätigkeit ein "Konzept zur Einbeziehung ökologischer Prinzipien in die Gestaltung der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung" unterbreitete. Der Zentrale Runde Tisch legte am 4. April 1990 noch eine Verfassung für eine demokratische, unabhängige, sozialstaatlich wie ökologisch orientierte DDR vor. Zu diesem Zeitpunkt war die politische Revolution in der DDR bereits über solche Reformpositionen hinweggegangen. Dem Runden Tisch blieb nur noch die Aufgabe, die ersten freien Wahlen in der DDR zu organisieren, die vom Mai 1990 auf den 18. März 1990 vorgezogen wurden.
Neben dem "Zentralen Runden Tisch" gab es auch den "Zentralen Grünen Tisch der DDR", der vom MNUW ins Leben gerufen wurde und am 24. Januar 1990 erstmals zusammentrat. Zu den Diskussionsthemen gehörte das Nationalparkprogramm. Der Grüne Runde Tisch tagte nochmals am 21. Februar 1990, wurde jedoch nach den Wahlen am 18. März aufgelöst. Hans Dieter Knapp bildete im MNUW Anfang Februar 1990 ein "Nationalpark-Komitee", dem neben Mitarbeitern des Ministeriums Vertreter der Förderkreise oder Verwaltungen der im Entstehen begriffenen Großschutzgebiete angehörten. Anfangs tagte das Komitee einmal monatlich, im Sommer 1990 dann wesentlich häufiger.
Ende Januar 1990 lag eine erste Fassung des Nationalparkprogramms vor. Succow stellte es mit den darin vorgeschlagenen Kategorien "Nationalpark", "Biosphärenreservat" und "Naturschutzpark", letztere eine den Schutzzweck hervorhebende Abwandlung der im Bundesnaturschutzgesetz verankerten Kategorie "Naturpark", dem Zentralen Runden Tisch der DDR in seiner Sitzung vom 5. Februar 1990 vor. Dieser befürwortete es einhellig und bat die Regierung, die dafür notwendigen Mittel kurzfristig zur Verfügung zu stellen.
Mitte Februar erging aus dem MNUW eine erste Verordnung, die der Stärkung des staatlichen Naturschutzes galt und zum Aufbau einer funktionsfähigen Naturschutzverwaltung in den Kreisen und Bezirken der DDR führte. Insgesamt wurden rund 1.000 neue Arbeitsplätze im Naturschutz geschaffen, überwiegend besetzt von Personen, die sich schon vorher in ihrer Freizeit für Naturschutz engagiert hatten und nun die personelle Basis für die Umsetzung des Nationalparkprogramms und allgemein des Naturschutzes in der DDR und später in den fünf neuen Ländern bildeten.
Im März gelang es dem Ministerium, alle "industriemäßigen Tierproduktionsanlagen" aus Umweltschutzgründen zu schließen, bis auf eine in Ferdinandshof/Vorpommern. Zu den bemerkenswerten Maßnahmen des Naturschutzes in dieser kurzen Phase der Modrow-Regierung gehört auch die Gründung der Internationalen Naturschutzakademie im Naturschutzgebiet Insel Vilm, die zuvor als Erholungsobjekt der DDR-Regierung diente. Diese Gründung erfolgte bereits in Absprache mit dem Umweltministerium der BRD.
Am 16. März 1990 bestätigte der Ministerrat der DDR schließlich eine Beschlussvorlage für das Nationalparkprogramm, die sechs Biosphärenreservate, fünf Nationalparke, zwölf Naturschutzparke sowie deren einstweilige Sicherung als Landschaftsschutzgebiete von zentraler Bedeutung vorsah. Auf der Grundlage dieses Beschlusses wurden in den vorgesehenen Gebieten Aufbaustäbe mit 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gebildet und noch für das laufende Jahr 1990 6,55 Millionen Mark eingeplant.
Die aus den Wahlen vom 18. März 1990 hervorgegangene Regierung unter Ministerpräsident Lothar de Maizière übernahm das Mandat von der Vorgängerregierung und ließ die Arbeiten am Nationalparkprogramm, das neben der Konsolidierung der staatlichen Naturschutzverwaltung im Zentrum der Naturschutzarbeit stand, fortführen. Das MNUW wurde am 12. April 1990 in Anlehnung an die Namensbezeichnung in der BRD in Ministerium für Umwelt, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit (MUNER) umbenannt, mit Karl-Hermann Steinberg als Minister. Succow blieb zunächst für seinen vorherigen Geschäftsbereich zuständig, schied allerdings zum 15. Mai 1990 aus dem Ministerium aus. Die Arbeiten am Nationalparkprogramm gingen indes weiter. Bei einer Beratung am 25. Juni 1990 im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in Bonn organisierten die BRD-Bundesländer die Unterstützung des Nationalparkprogramms im Rahmen von Patenschaften.
Am 29. Juni 1990 wurde von Seiten der DDR und BRD das Umweltrahmengesetz unterzeichnet, das, wie die Währungsunion, am 1. Juli 1990 in Kraft trat. Damit galt das Bundesnaturschutzgesetz weitgehend auch in der DDR. Das Nationalparkprogramm profitierte davon, dass das Landeskulturrecht der DDR auf Länderebene weiterhin galt. Das Umweltrahmengesetz, im Wesentlichen erarbeitet von Naturschutzjuristen aus der Bundesrepublik, war im Hinblick auf die Realisierung dieses Programms ausformuliert worden, wobei hier der Mitte Mai 1990 aus dem Bonner Umweltministerium in das MUNER delegierte Jurist Arnulf Müller-Helmbrecht eine maßgebliche Rolle spielte.
Als am 20. August 1990 der 3. Oktober 1990 als Tag des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik festgelegt wurde, mussten die Verordnungen aller Gebiete, die gesichert werden sollten, vor diesem Termin fertiggestellt werden. Da dies bis zum 31. August 1990, an dem der Einigungsvertrag zwischen DDR und BRD unterzeichnet wurde, nicht gelang, findet sich das Nationalparkprogramm dort nicht wieder.
Wenige Tage vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990, in der letzten Sitzung des Ministerrats am 12. September 1990, wurden schließlich im Rahmen des Nationalparkprogramms sechs Biosphärenreservate, fünf Nationalparke und drei Naturparke nach DDR-Recht gesichert. 12 weitere Gebiete wurden einstweilig gesichert. Damit wurden 4.882 Quadratkilometer Landschaft unter Schutz gestellt, das waren knapp 5 Prozent des Territoriums der DDR.
Am 18. September 1990 unterzeichneten Wolfgang Schäuble für die Bundesrepublik Deutschland und Günther Krause für die Deutsche Demokratische Republik eine "Zusatzvereinbarung" zum Einigungsvertrag vom 31. August 1990, mit der die 14 vom Ministerrat beschlossenen Verordnungen zum Nationalparkprogramm bestätigt wurden. Die anderen 12 Gebiete wurden für die Dauer von zwei Jahren vorläufig gesichert. Innerhalb von zehn Monaten war damit in der Fläche mehr für den Naturschutz in Deutschland erreicht als in den 100 Jahren staatlichem Naturschutz zuvor.
Am 3. Oktober 1990 endete die Geschichte der DDR, jedoch noch nicht die Geschichte von DDR-Naturschutzinstitutionen, denn das 1953 gegründete Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz (ILN) wurde erst am 31. Dezember 1991 geschlossen, nachdem es im Mai 1991 vom Wissenschaftsrat evaluiert wurde. Die zentrale Naturschutzforschungseinrichtung der DDR existierte somit noch knapp 15 Monate lang im vereinten Deutschland.
Im ILN hatten die letzten Verteidigungen von Forschungsberichten bereits 1989 stattgefunden. Im ersten Halbjahr 1990 waren alle Forschungsthemen abgebrochen worden. Die Mitarbeiter der Forschungsgruppen beteiligten sich nun an den Arbeiten zur Vorbereitung der Ausweisung von Nationalparken, Biosphärenreservaten und Naturschutzparken im Rahmen des Nationalparkprogramms. Das ILN gliederte sich im September 1990 noch in 8 Arbeitsgruppen, 2 Abteilungen, 2 Biologische Stationen, eine Lehrstätte und eine Niederlassung in Specker Horst.
In den neu bzw. wieder entstandenen Ländern in Ostdeutschland war der Aufbau der Landesämter für Umwelt und Naturschutz (bei unterschiedlicher Namensgebung) in Gang gekommen. Etliche Mitarbeiter der ehemaligen ILN-Zweigstellen beteiligten sich daran maßgeblich. Bis zum Mai 1991 gingen die fünf Zweigstellen des ILN in jeweilige Landesämter für Umwelt- und Naturschutz bzw. in die dortigen Abteilungen Naturschutz über. Für die bisherigen ILN-Mitarbeiter, die im amtlichen Naturschutz tätig blieben, änderte sich der Charakter ihrer Tätigkeit allerdings grundlegend, da sie fortan nicht mehr forschten, sondern ausschließlich Verwaltungsarbeit zu erledigen hatten.
Autor: IUGR - Institut für Umweltgeschichte und Regionalentwicklung e.V.
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