Das war die DDR

Wahlen und Legitimation des Regimes

Bei allen Wahlen, die in der DDR vor 1990 stattfanden, fanden die Wahlberechtigten nur eine Einheitsliste mit Kandidaten der Parteien und Massenorganisationen vor, die in der Nationalen Front zusammengebunden waren. Die Möglichkeit zur Wahl einzelner Personen oder Parteien bestand nicht. Für die auf eine reine Bestätigungsfunktion der Herrschenden angelegten Wahlen wurden die Wahlberechtigten aufwändig mobilisiert und in den Kollektiven, denen sie angehörten, mit einigem Nachdruck zur Teilnahme motiviert bzw. genötigt.

Der individuelle Wahlvorgang selbst wurde üblicherweise ohne jeden Aufwand und nicht geheim durchgeführt. Die meisten Wähler verzichteten - unter aufmerksamer Beobachtung stehend - darauf, die im hinteren Teil des Wahllokals aufgestellten Wahlkabinen zu benutzen, sondern falteten lediglich ihren Zettel mit der Einheitsliste und warfen ihn ungelesen in die Urne. Dieser Vorgang wurde im Volksmund "falten gehen" genannt. Schon bei der ersten Volkskammerwahl 1950 kam es durch umfangreiche Wahlfälschungen zu dem dann, in dieser Größenordnung bereits von sowjetischen Abstimmungen bekannten, üblich gewordenen Bild. 98 Prozent Wahlbeteiligung und 99,7 Prozent Zustimmung.

Diese Art der Einheitswahlen lassen keinen Schluss darauf zu, ein wie großer Prozentsatz der Bevölkerung dem SED-Regime zustimmte oder ihm ablehnend gegenüberstand. Um diese Frage zu beantworten, sind die Historiker auf Schätzungen angewiesen. Stefan Wolle weist auf die gleichbleibend hohe Wahlbeteiligung von 99 % hin, auf die die SED zur Legitimation immer wieder verwies. Da niemand wegen Wahlverweigerung gerichtliche Verfolgung zu befürchten hatte und die staatliche Propaganda von niemandem ernst genommen worden sei, nimmt Wolle an, dass die Bürger der DDR "teils widerwillig, teils zustimmend und zu einem erheblichen Teil gleichgültig" den Kandidaten der Nationalen Front ihre Stimme gaben. Zur Erklärung führt er "ein im Menschen offenbar tiefverwurzeltes Streben nach Einklang mit den Herrschenden, eine Freude an der Unterwerfung und der kollektiven Demütigung von Außenseitern" an.

Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk betont, dass kein Regime allein auf Repression gründen kann. Dass der realexistierende Sozialismus in der DDR tatsächlich auch auf Zustimmung stieß, habe an drei Versprechen des Regimes gelegen. Dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe, dass Faschismus bzw. Nationalsozialismus sich nie wiederholen dürfe, und dem Versprechen sozialer Gerechtigkeit. Die DDR gerierte sich daher als antifaschistischer Friedensstaat, in dem "jeder nach seinen Möglichkeiten" leben und arbeiten dürfe. Tatsächlich begann sich in den 1960er Jahren ein gewisser Wohlstand auszubreiten. Die 1971 von Honecker durchgesetzte Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik diente demselben Zweck. In den Worten Hans-Ulrich Wehlers:

"Um den Preis der Gehorsamsbereitschaft, der Systemloyalität, des Verzichts auf aktive Einflußnahme und Konfliktbereitschaft wurde eine autoritär-paternalistische Fürsorge im Stil der propagierten anachronistischen Geborgenheit‘ eingeführt."

Laut dem Historiker Arnd Bauerkämper stieß das parteioffizielle Versprechen sozialer Gleichheit in weiten Kreisen auf Resonanz. Die reale soziale Ungleichheit in der DDR und insbesondere die Privilegien der Nomenklatura, wie die als luxuriös beschriebene Waldsiedlung Wandlitz hätten zu einer Legitimitätslücke und dadurch maßgeblich zum Untergang des Regimes 1989 geführt.

Der amerikanische Historiker Andrew I. Port dagegen glaubt, dass die DDR über keine Legitimität im Sinne der Herrschaftssoziologie Max Webers verfügte. Dass sie dennoch und trotz der verbreiteten Unzufriedenheit über ihre zahlreichen Unzulänglichkeiten nicht früher zusammenbrach, führt er auf eine verbreitete "unwillige Loyalität" zurück. Viele verhielten sich defensiv, machten mit, soweit es unumgänglich war und Vorteile versprach. Die zahlreichen Interessengegensätze zwischen den sozialen Gruppen und Individuen der DDR hätten die Herausbildung einer breiten Oppositionsbewegung bis 1989 verhindert.

Quelle Wikipedia

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