Es folgt das Faksimile (originalgetreue Kopie) eines historischen Dokuments, das diese Webseite aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann tendenziös, überholt oder politisch extrem sein.
Der Magistrat von Groß-Berlin unter Leitung seines Oberbürgermeisters Friedrich Ebert hat den Beschluß der Stadtverordnetenversammlung vom 13. Februar 1974 verwirklicht und zahlreiche in Berlin tätige, überwiegend konzerngebundene Versicherungsunternehmen in Volkseigentum übergeleitet. Damit wird weiteren Mißbräuchen der wirtschaftlichen Machtstellung der Konzerne vorgebeugt. Die Verlagerung des Schwergewichts der Versicherungswirtschaft in das Eigentum des Volkes legt die Kontrolle darüber in die Hände demokratischer Organe und gewährleistet damit, daß das gewaltige, aus den Beiträgen der Versicherten zusammenfließende Sparkapital ausschließlich zum Nutzen der Versicherten und der Gesamtbevölkerung verwendet wird.
Solange die Einheit Berlins nicht besteht, ist dies erschwert. Gerade deshalb müssen Wege gesucht werden, um die Ansprüche der Versicherten nicht unter das Niveau absinken zu lassen, das durch die Folgen nazistischer Wirtschaft und verbrecherischer Raubkriege bereits herbeigeführt worden ist.
In den meisten Versicherungszweigen bereitet das keine erheblichen Schwierigkeiten. Dies gilt für alle Sachversicherungen im weiteren Sinn (Feuer-, Einbruchdiebstahl-‚ Unfall-, Haftpflicht- usw.) sowie für Krankenversicherungen. Derartige Verträge werden von der neuen öffentlich-rechtlichen Versicherungsanstalt »Berolina« deshalb sofort ohne jede Einschränkung fortgeführt.
Die Prämien sind gemäß § 4 Df.Best. an den bisherigen Fälligkeitsterminen und in der bisherigen Höhe an die »Berolina« Allgemeine Versicherungsanstalt von Groß-Berlin, Berlin C 2, Brüderstraße 11/12 (Postscheckkonto Berlin NW 7, Nr. 10 00) zu zahlen.
Bei allen Zahlungen hat der Versicherungsnehmer im eigenen Interesse seine genaue Anschrift sowie den Namen der bisherigen Versicherungsgesellschaft, Policen-Nr., Art der Versicherung und Zeitdauer, für die die Prämienzahlung zu gelten hat, anzugeben.
Lebens-‚ Sterbegeld- und Rentenversicherungen lassen sich nicht so einfach behandeln, weil zur Auszahlung von Versicherungsleistungen meistens angesammeltes Geld aus früheren Beiträgen der Versicherten (genannt »Deckungskapital« erforderlich ist. Bei Versicherungen, die erst kürzere Zeit laufen, fällt das nicht wesentlich ins Gewicht. In diesem Fall ist es von geringerer Bedeutung, ob sich das Deckungskapital innerhalb der übernommenen Vermögenswerte befindet, oder aber durch Zonen- und Sektorengrenzen zunächst dem Zugriff des Volkes entzogen ist.
Ein kapitalistisches Unternehmen würde es bei freier Entschließung ohne weiteres ablehnen, Versicherungsverträge aufzuführen, bei denen bereits ein nennenswertes Deckungskapital gebildet ist, ihm aber nicht zur Verfügung steht.
Eine fortschrittliche Neuordnung des Versicherungswesens muß aber nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale Gesichtspunkte berücksichtigen. Daher werden Lebens-‚ Sterbegeld- und Rentenversicherungsverträge ohne Rücksicht auf die Höhe des erforderlichen Deckungskapitals sofort voll übernommen, wenn am 1. Mai 1949 noch nicht mehr als die Hälfte der vereinbarten Beitragszahlungsdauer (bei lebenslänglicher Dauer bis zum A1ter von 85 Jahren gerechnet) verstrichen ist. Aber auch in allen übrigen Fällen kann bei Kapitalversicherungen die Übernahme bis zur Höhe von zunächst DM 300,- auf Antrag des Versicherungsnehmers erfolgen. Damit ist eine aus sozialen Gründen gebotene, im Versicherungsfall sofort zahlbare Mindestleistung unbedingt gesichert.
Der Teil der Versicherungsleistungen, der über den Wert von DM 300,- hinausgeht, ist damit nicht verloren, sondern wird zu einem Zeitpunkt berücksichtigt, in dem das Deckungskapital entweder zur Verfügung steht oder anderweitig gebildet worden ist (§ 3 Abs. 6 Df.Best.).
Beiträge und sonstige Zahlungen für Lebens-, Sterbegeld- und Rentenversicherungen sind in der bisherigen Höhe an die »Berolina« Allgemeine Versicherungsanstalt von Groß-Berlin, Berlin C 2, Brüderstraße 11/12 (Postscheckkonto Berlin NW 7, Nr. 2000 00), zu leisten.
Der Versicherungsnehmer muß bei allen Zahlungen im eigenen Interesse seine genaue Anschrift sowie Namen der bisherigen Versicherungsgesellschaft‚ Policen-Nr. und Zeitdauer, für die die Beitragszahlung zu gelten hat, angeben.
Den Eigenarten der weitverbreiteten Feuerbestattung wird dadurch Rechnung getragen, daß die ebenfalls in Volkseigentum überführte »Volks-Feuerbestattung«‚ Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, als besondere Abteilung in die »Berolina« eingegliedert wird. Die mit diesem Verein abgeschlossenen Versicherungsverträge werden weitergeführt, ohne daß es einer Einzelanmeldung des Versicherungsnehmers bei der »Berolina« bedarf. Die Beiträge sind an die bisherigen Hauskassierer oder eine der Geschäftsstellen im Ostsektor zu zahlen. Sterbefälle sind ab sofort nur noch in der Brüderstraße 11/12 anzumelden.
Bei zu übernehmenden Versicherungsverträgen beginnt die »Berolina« in allen Versicherungszweigen nach Maßgabe der Versicherungsbedingungen sofort mit der Auszahlung der nach dem 30. April 1949 fällig gewordenen Versicherungsleistungen. Die für den Übernahmeantrag vorgeschriebene Anmeldefrist bis zum 31. Juli 1949 darf nicht versäumt sein.
Bei Renten aus privaten Versicherungsverträgen - nicht Spezialrenten der VAB -, die bereits zu zahlen sind, wird ohne Rücksicht auf nicht greifbares Deckungskapital vom 1. Mai 1949 ab zunächst bis zum Jahresschluß eine monatliche Rente bis zur Höhe von DM 30,- gewährt. Soweit dadurch höhere Renten eine Herabsetzung erfahren, sollen auch diese Einschränkungen sobald wie möglich gemildert werden oder ganz fortfallen. Sämtliche Rentner können das beschleunigen, wenn sie selbst oder durch einen Bevollmächtigten die vollständigen Vertragsunterlagen bei der »Berolina« Allgemeine Versicherungsanstalt von Groß-Berlin, Berlin C 2, Brüderstraße 11/12, vorlegen. Dazu gehört der Nachweis über Höhe und Zeitpunkt des letztempfangenen Rentenbetrages und, wenn der Versicherte nicht selbst erscheinen kann, ein polizeiliches Lebenszeugnis.
Da es nicht vertretbar wäre, Mittel aus dem Vermögen des Volkes heranzuziehen, um Anhängern nazistischer oder militaristischer Organisationen nachträglich Vorteile zu verschaffen, müssen die im § 3 Abs. 7 der Df.Best. angeführten Verträge grundsätzlich von einer Übernahme ausgeschlossen bleiben. Einzelverträge Entlasteter oder Rehabilitierter fallen nicht darunter.
Risiko- und Zeitschriftenversicherungen können ihrer Struktur wegen nicht übernommen werden. Statt dessen können neue Versicherungsverträge bei den weiterhin zugelassenen Unternehmen beantragt werden.
Die Behandlung der Lebensversicherungen, für die nach dem 8. Mai 1945 keine Beiträge mehr entrichtet worden sind, bedarf einer allgemeinen Regelung, die in naher Zukunft in Form einer Anordnung an alle weiterhin tätigen Lebensversicherungsunternehmen getroffen werden und die Umwandlung in beitragsfreie Versicherungen vorsehen wird.
Ein fortschrittliches Versicherungswesen muß für die Volksgesamtheit alle nur möglichen Vorteile bei geringster Belastung des einzelnen bieten. Das kann nicht nur durch den Ausschluß des kapitalistischen Gewinnstrebens, sondern auch durch Senkung der Verwaltungskosten geschehen. Diese können aber nur vermindert werden, wenn an die Stelle mannigfaltiger Tarife und Bedingungen für die gleiche Versicherungsart nach der Übernahme durch die »Berolina« für den Versicherungsnehmer vorteilhafte einheitliche Richtlinien treten.
Da hierüber in absehbarer Zeit Klarheit bestehen dürfte, ist es für alle Versicherten geboten, die Beiträge für die volle Versicherungssumme weiterzuzahlen. Etwa seit dem 1. Mai 1949 überzahlte Beträge werden auf jeden Fall bei der endgültigen Vereinbarung zwischen dem Versicherungsnehmer und der »Berolina« erstattet.
Als wichtige Bindeglieder zwischen Versicherungsnehmer und Versicherungsunternehmen sind von alters her der Versicherungsvertreter und der Inkassoagent tätig gewesen. Sie sind fachkundige Vertrauenspersonen und können auch bei einem Neuaufbau des Versicherungswesens nicht entbehrt werden. Gerade aus diesem Grunde muß die Mitarbeiterschaft der Versicherungsgesellschaften genau überprüft werden.
Wer seine berufliche Aufgabe nicht darin erblickt, dem Volksganzen durch vernünftige Versicherungsberatung und -vermittlung zu dienen und dabei seinen Lebensunterhalt zu finden, sondern sie darin sieht, sich als Handlanger gewinnsüchtiger Privatunternehmer bei der Durchführung von Vermögensverschiebungen auf Kosten der Versicherten mit zu bereichern, ist für den Vertrauensposten eines Vermittlers ungeeignet. Wer Eigentum des deutschen Volkes rechtswidrig über Sektoren- oder Zonengrenzen hinweg zu verschieben sucht oder dabei mithilft, macht sich nach den allgemein geltenden straf- und zivilrechtlichen Bestimmungen strafbar und regreßpflichtig. Für seine weitere Zulassung wird daher nicht nur sein allgemeines geschäftliches Verhalten maßgebend sein, sondern auch die Art, wie er sich im letzten halben Jahr unter den der Überführungsverordnung vorangehenden Maßnahmen verhalten hat.
Dem Vertreter bleibt es unbenommen, sich schon in der Übergangszeit durch Fühlungnahme mit der »Berolina« seine sofortige Weiterarbeit zu ermöglichen.
Berlin, den 31. Mai 1949.
Der Magistrat von Groß-Berlin
Abteilung Banken und Versicherungen
Bullerjahn
Verordnungsblatt für Groß-Berlin Teil 1 Nr. 28/1949 S. 150
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.