Das war die DDR

Gesetz Nr. 4 zur Sicherung des Friedens durch Überführung von Betrieben (Eigentumskategorien) der faschistischen und Kriegsverbrecher in die Hände des Volkes vom 16. August 1946

Amtsblatt Mecklenburg 1946 S. 98

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Der Oberste Chef der Sowjetischen Militärverwaltung, Oberbefehlshaber der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland, hatte

a) durch Befehl vom 30. Oktober 1945 (Nr. 124) einige Eigentumskategorien, die früher dem Hitlerstaat, den Hitlerbehörden, den verbotenen und aufgelösten Gesellschaften, Klubs, Vereinigungen und Kriegsverbrechern gehört haben, als sequestriert,

b) und durch Befehl vom 31. Oktober 1945 (Nr. 126) das Vermögen der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände als beschlagnahmt erklärt.

Die sowjetischen Besatzungsbehörden hatten diese Beschlagnahmungen durchgeführt, damit die Fabriken, Werke und gewerblichen Betriebe erhalten und vor Zerstörungen und Mißbrauch und Verschleuderung bewahrt blieben. Da die Sowjetische Militärverwaltung dem deutschen Volke gegenüber keine Rachepolitik verfolgt, sondern bestrebt ist, ihm die normale Existenz, die friedliche Arbeit und den Wiederaufbau im Lande auf neuen, demokratischen Grundlagen zu sichern, hat die Sowjetische Militärverwaltung in einer Weise, für die die deutsche Bevölkerung dankbar ist, das beschlagnahmte und sequestrierte Vermögen an die Landesverwaltung übergeben und sie so dem deutschen Volke erhalten.

Durch Befehl Nr. 97 vom 29. März 1946 wurden die Vorbereitungen zur Übergabe des gesamten nach den Befehlen Nr. 124/126 der Sowjetischen Militärverwaltung beschlagnahmten Eigentums der Faschisten und Kriegsverbrecher sowie des Eigentums der faschistischen Parteien und ihrer Gliederungen an die deutschen Verwaltungsorgane getroffen.

Die Sowjetische Militärverwaltung hat als ausdrückliches Ziel der Verordnung die rationelle und effektive Verwendung dieses Eigentums für den Bedarf der deutschen Bevölkerung bezeichnet.

Durch Befehl Nr. 154/181 vom 21. Mai 1946 ist alles in der sowjetischen Besatzungszone beschlagnahmte Eigentum den deutschen Verwaltungsbehörden zur Kompetenz übergeben worden. Nach dem Befehl Nr.145 vom 10. August 1946 der Sowjetischen Militärverwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern ist die Überführung des Eigentums nunmehr vorzunehmen.

Nachdem alle Schichten der Bevölkerung den Ruf nach endgültiger Überführung des Eigentums in die Hände des Volkes erhoben haben, hat die Landesverwaltung nach einstimmigem Beschluß des Rechtsausschusses der Beratenden Landesversammlung das nachfolgende Gesetz, das der Sicherung des Friedens durch Entmachtung der faschistischen und Kriegsverbrecher dient, beschlossen:

§ 1

Das gesamte durch die Befehle des Obersten Chefs der Sowjetischen Militärverwaltung Nr. 124/126 vom 30./31. Oktober 1945 erfaßte Vermögen der faschistischen und Kriegsverbrecher, der Führer und aktiven Verfechter der Nazipartei und des Nazistaates sowie die Betriebe und Unternehmungen, die aktiv dem Kriegsverbrechen gedient haben, werden, soweit sie sich im Gebiet der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern befinden, zugunsten der Landesverwaltung enteignet.

§ 2

Die gewerblichen Betriebe, Beteiligungen, Rechte und Vermögenswerte, die durch Beschluß der Landeskommission auf Liste A (Enteignung) verwiesen sind, gehen auf Grund dieses Gesetzes in das Eigentum der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern über. Der Eigentumsübergang erfolgt ohne Entschädigung an die bisherigen Eigentümer oder sonstigen Berechtigten.
Der Eigentumsübergang erfolgt unter Wegfall der bis zum 9. Mai 1945 entstandenen Verbindlichkeiten einschließlich der dinglichen Lasten. Die in ordnungsgemäßem Geschäftsgang nach dem 9. Mai 1945 entstandenen Verbindlichkeiten des Betriebes sind von dem neuen Eigentümer zu übernehmen. Die einer dinglichen Last zugrunde liegende persönliche Forderung gegen den bisherigen Eigentümer oder bisherigen Berechtigten bleibt unberührt.
Grunddienstbarkeiten verkehrs- und nachbarrechtlicher Natur (z. B. Wege- und Wasserrechte) bleiben bestehen. In besonderen Fällen kann der Präsident des Landes nach billigem Ermessen an dritte Personen, die durch die Enteignung einen Schaden erleiden, eine Entschädigung gewähren.

§ 3

Diejenigen Betriebe, Beteiligungen, Rechte und sonstigen Vermögenswerte, die durch Beschluß der Landeskommission auf Liste B (Rückgabe) verwiesen sind, werden aus der Sequestration entlassen und den Eigentümern zurückgegeben.
Die Rückgabe erfolgt durch einfache Mitteilung der Landesverwaltung an die Betroffenen.

§ 4

Diejenigen herrenlosen oder als herrenlos bezeichneten Betriebe, Beteiligungen und sonstigen Vermögenswerte, die durch Beschluß der Landeskommission auf Liste C (Verwaltung) verwiesen sind, werden in die einstweilige Verwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern übernommen. Die Eigentumsverhältnisse werden durch diese Übernahme nicht geändert. Während der Dauer der einstweiligen Verwaltung steht die ausschließliche Verfügungsbefugnis über diese Vermögenswerte der Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern oder den von ihr beauftragten Behörden oder Personen zu. Etwaige Verfügungen der bisherigen Berechtigten oder anderer Nichtberechtigter sind nichtig.
Die endgültige Bestimmung über die in Liste C verzeichneten Betriebe und Vermögenswerte trifft die Landesverwaltung auf Vorschlag der von der Landesverwaltung, Abteilung Innere Verwaltung, zu berufenden Landeskommission für amtliche Verwahrung.
Die Landeskommission setzt sich aus je zwei Vertretern der drei antifaschistischen Parteien, des FDGB, der Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer und der Landesverwaltung zusammen
Der Vorschlag der Landeskommission und die selbständige Bestimmung (§ 4 Abs. 2) der Landesverwaltung kann dahin gehen, daß

a) die Betriebe oder Vermögenswerte den bisherigen Eigentümern oder ihren Rechtsnachfolgern zurückgegeben werden;

b) eine Enteignung zugunsten des Landes Mecklenburg-Vorpommern ausgesprochen wird;

c) die Verwaltung durch die Landesverwaltung auf Zeit fortgesetzt wird.

§ 5

Schadensersatzansprüche aus der Beschlagnahme der in den §§ 1 bis 4 bezeichneten Unternehmen oder sonstigen Vermögenswerte werden ausgeschlossen.

§ 6

Die Landesverwaltung kann die ihr nach § 2 übertragenen Betriebe und Vermögenswerte ganz oder teilweise an Selbstverwaltungskörperschaften der Städte, Landkreise und Gemeinden, an Genossenschaften, Gewerkschaften, andere Körperschaften oder Privatpersonen übertragen.

§ 7

Die Einnahmen aus einer Verwertung der enteigneten Betriebe und Vermögenswerte sind zweckgebunden, sie sind im Lande Mecklenburg-Vorpommern zur Wiedergutmachung des dem deutschen Volke durch den Hitlerstaat zugefügten Schadens und zum Wiederaufbau des durch den Hitlerkrieg zerstörten Volksvermögens zu verwenden.

§ 8

Die Durchführung dieses Gesetzes und der Erlaß von Ausführungsbestimmungen obliegt der Landesverwaltung, Abteilung Innere Verwaltung, die auch Verfahrensvorschriften für die Tätigkeit und Berufung der Landeskommission erläßt.

§ 9

Jede Verfügung über das Vermögen oder Vermögensteile der enteigneten Betriebe oder sonstigen Vermögenswerte durch die bisherigen Inhaber ist bis zur tatsächlichen Besitzergreifung durch die Landesverwaltung untersagt.
Wer diesem Verbot zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis nicht unter einem Jahr und mit Geldstrafe in unbeschränkter Höhe oder mit einer dieser Strafen bestraft.
Gleiche Strafe trifft denjenigen, der Sachen oder Gegenstände, die unter die Enteignung fallen, an sich nimmt oder erwirbt.
Treuhänder und Verwalter von Unternehmen, die nach § 3 den Eigentümern zurückgegeben werden, haben sich jeder Verfügung, die nicht im ordnungsmäßigen Geschäftsvorgang erfolgt, zu enthalten. Zuwiderhandlungen werden nach § 9 Abs. 2 dieses Gesetzes bestraft.

§ 10

Dieses Gesetz tritt am Tage seiner Verkündung in Kraft.

Der Präsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern
Höcker

Die Vizepräsidenten
Warnke   Möller   Grünberg

Amtsblatt Mecklenburg 1946 S. 98

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