Das war die DDR

Direktive Nr. 19 des Kontrollrats der Alliierten Kontrollbehörde vom 12. November 1945

AB/KR Dtl. 1946 Nr. 3 v. 31.1.1946 S. 46

Es folgt das Faksimile (originalgetreue Kopie) eines historischen Dokuments, das diese Webseite aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann tendenziös, überholt oder politisch extrem sein.

Grundsätze für die Verwaltung der deutschen Gefängnisse und Zuchthäuser

 

Der Kontrollrat verfügt wie folgt:

1. Die Grundsätze für die Verwaltung des deutschen Gefängniswesens sind folgende:

  1. Die genaue und gewissenhafte Ausführung der gefällten Rechtssprüche.
  2. Die Rehabilitierung und Umerziehung der Verurteilten.

2. Zur Ausführung des in § 1 A. erwähnten Grundsatzes ist es erforderlich:

  1. Die Gefängnisse mit einem ausreichend ausgebildeten Beamtenkörper auszustatten, der die Bewachung der Sträflinge, ihre Mindestansprüche auf Kost und Bekleidung und ihr körperliches Wohlergehen sowie die Aufrechterhaltung von Ordnung und Zucht sicherstellen kann. Voraussetzung dafür ist die Aufstellung von solchen Regeln für die Auslese und Beibehaltung von Beamten, welche die Bildung einer Gruppe von körperlich gewandten, geeigneten und vorurteilslosen Personen sicherstellen, die nicht des Nazismus verdächtig sind und die Fähigkeit besitzen, sich die Achtung der Sträflinge und die Befolgung ihrer Befehle zu verschaffen. Die Ausbildung und Organisation der Beamten muß auch für die Sicherheit der ihnen anvertrauten Anstalten und die Entwicklung der zur Erreichung der Endziele des Gefängniswesens erforderlichen Eigenschaften sorgen.
  2. Es muß unbedingt an dem Grundsatz festgehalten werden, daß alle Sträflinge gleich zu behandeln sind und keine besonderen Vorrechte genießen dürfen; auch darf unter keinen Umständen ein Unterschied in der Behandlung gemacht werden auf Grund von Rasse, Farbe, Glauben oder gesellschaftlichem Rang. Jeder Sträfling soll nur auf Grund seiner persönlichen Verdienste behandelt werden.
  3. Die Leitung der Gefängnisanstalten soll in die Lage versetzt werden, sich mit den kriminellen und persönlichen Eigentümlichkeiten, den Gewohnheiten und den geistigen und körperlichen Besonderheiten eines jeden Sträflings vertraut zu machen, um ihn richtig klassifizieren zu können, hinsichtlich der ihm zukommenden Unterbringung, Arbeit, Ausbildung und des für ihn zulässigen Umganges und Verkehrs mit anderen Personen.
  4. Die Personalnachweise eines jeden Sträflings müssen alle Einzelheiten über seine Sträflingsklasse, seine kriminelle und persönliche Vorgeschichte, Erziehung und Beschäftigung (Beruf) sowie seine körperlichen und geistigen Eigentümlichkeiten enthalten. Die Aufzeichnungen über jeden Sträfling müssen Einzelheiten über sein Verhalten und seine Aufführung während der Haftzeit, seine erworbenen Fähigkeiten sowie eine Beurteilung seitens der Personen enthalten, unter deren Aufsicht er gearbeitet hat.
  5. Die Beaufsichtigung der Sträflinge muß streng, aber gerecht sein, ohne Anwendung von Körperstrafen.

3. Zur Ausführung der in § 1 B. angeführten Bestimmung müssen folgende Vorkehrungen getroffen werden:

  1. Aufstellung eines Programms für nützliche körperliche Arbeit, das dem Sträfling die Folgen seiner verbrecherischen Handlungen zum Bewußtsein bringen und ihn zur Arbeit anleiten soll; es soll ihm auch die Überzeugung beibringen, daß körperliche Arbeit an sich selbst einen ausreichenden Ersatz für verbrecherische Tätigkeit bietet. Pläne für Gefangenenarbeit sollen sich zuerst mit der Deckung der eigenen Bedürfnisse der Sträflinge an Lebensmitteln, Bekleidung und Unterkunft, sodann mit der Beschaffung und Herstellung von Gebrauchswaren und der Gestellung von Arbeitskräften für den Bedarf der Behörden befassen. Zuverlässige und arbeitswillige Sträflinge können gegebenenfalls zum Straßenbau, zur Aufforstung, zum Schutz der Bodenschätze und zu anderen gemeinnützigen Arbeiten herangezogen werden.
  2. Gründung von Schulen und Werkstätten für die Erziehung und Ausbildung der Sträflinge, je nach Art der begangenen Verbrechen, und besonders bei jugendlichen Erstverbrechern, in literarischer und beruflicher Hinsicht, um sie darauf vorzubereiten, nach ihrer Freilassung ihre Stellung in der Gesellschaft als ordnungsliebende und erwerbsfähige Bürger wieder einzunehmen. Lehrbücher, Zeitschriften und Lehrgänge sollen zu diesem Zwecke dienen.
  3. Ärztliche, zahnärztliche und psychiatrische Fürsorge und Krankenhäuser sollen für die Förderung des leiblichen Wohlseins der Sträflinge vorhanden sein. Besondere Aufmerksamkeit soll der Einhaltung der anerkannten Gesundheitsmaßregeln und der Sauberkeit gewidmet werden. Ferner sollen Vorkehrungen zur psychologischen und psychiatrischen Beurteilung der Sträflinge getroffen werden; diese Spezialzweige der Medizin sollen in der Behandlung der Sträflinge voll angewandt werden.
  4. Angemessene Gelegenheiten zur Entwicklung und Erhaltung des körperlichen und geistigen Wohlseins der Sträflinge.
  5. Die Gefängnisverwaltung kann sich mit der Frage der Belohnung derjenigen Sträflinge, die sich durch musterhaftes Auftreten auszeichnen, befassen.
  6. Gewährung der Erlaubnis zum Briefverkehr mit Verwandten und Freunden gemäß den erlassenen Vorschriften und unter Aufsicht der Gefängnisbeamten. Regelmäßige Besuchsgelegenheit seitens anständiger Freunde und Verwandter soll auch wohlwollend gegeben werden.
  7. Den Sträflingen soll angemessene Gelegenheit für die religiöse Betreuung und Teilnahme am Gottesdienst nach eigener Wahl gewährt werden.
  8. Anerkennung der Rechte des Sträflings, den zuständigen Beamten Mitteilungen über seine persönlichen Angelegenheiten und Schwierigkeiten zu machen sowie des Rechts, ohne sich einer Strafe auszusetzen, gegen die rechtskräftigen Gründe seiner Verhaftung Einspruch zu erheben und eine Überprüfung des Sachverhalts zu fordern.
  9. Das Bestehen auf der restlosen Ehrlichkeit seitens des Gefängnispersonals und der Sträflinge und auf der Achtung der Rechte anderer. Die Anerkennung des Grundsatzes, daß kein menschliches Geschöpf hoffnungslos verwahrlost oder verdorben ist.

 

Ausgefertigt in Berlin, den 12. November 1945.

(Die in den drei offiziellen Sprachen abgefaßten Originaltexte dieser Direktive sind von V. Sokolowsky, General der Armee, Lucius D. Clay, Generalleutnant, D. H. Robertson, Generalleutnant, und L. Koeltz, Armeekorpsgeneral, unterzeichnet.)

 

Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland 1946 Nr. 3 v. 31.1.1946 S. 46

Quelle: Eigener Bestand im Original

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